Anfänge der Musiksoziologie. Russisch-sowjetische Quellen, 1900-1930.
Studien zu den Anfängen der Musiksoziologie.
Russisch-sowjetische Quellen, 1900-1930.
Laufzeit des Projekts vom 1.3.2013 bis vorauss. 28.2. 2016
Zusammenfassung
Die Geburt einer eigenständigen Disziplin „Musiksoziologie“ datiert man mit dem Anfang des 20. Jahrhunderts und Ansätzen aus Deutschland und Frankreich (P. Bekker, M. Weber,J. Combarieu). Diese Zeit ist bislang nicht vollständig aufgearbeitet worden. Nicht erschlossen sind sowohl einige französische Quellen (C. Bellaigue) als auch die ideologisch-politisch unterdrückten Schriften russischer Provenienz.
Russische Musikwissenschaft hat für die Zeit zwischen 1900 und 1930 vielfältige musiksoziologisch relevante Ansätze vorzuweisen, wie z.B. den systematischen Zugang zur Musikgeschichte, die Rezeptions- und Kommunikationstheorie(-n), die frühen Sozialisationskonzepte, das Verständnis vom musikalischen Schaffen als Produktionsprozess oder die Diskussion über die Urteilsbildung. Des Weiteren waren empirische Untersuchungen, die sowohl Feldforschung als auch Experimente umfassten, von Anfang an Bestandteil russischer musiksoziologischer Aktivitäten. Es handelt sich hierbei um die frühesten empirischen musiksoziologischen Untersuchungen weltweit.
Der Abbau der allgemeinen Soziologie im Rahmen von Stalins Kulturpolitik entzog den sog. „Bindestrich-Soziologen“ ihre Arbeitsgrundlage. Mehrere Forschungsprojekte der Zeit sind unterbrochen worden, einige konnten nur dadurch fortgesetzt werden, dass die Wissenschaftler ihre Überschriften änderten. Die Rezeption des frühen musiksoziologischen Denkens wurde abgebrochen. Die facettenreichen theoretischen Studien und das einmalige empirische Material blieben der europäischen Öffentlichkeit vorenthalten.
Die Analyse der kulturellen Landschaft Anfang des 20. Jahrhunderts weist auf ein außergewöhnlich innovatives Potential hin. Dieses Potential lässt sich auch innerhalb der russisch-sowjetischen Musikwissenschaft verfolgen. Durch neuere Untersuchungen ist es deutlich geworden, dass das zaristische Russland und die frühe Sowjetunion wissenschaftlich und kulturell sehr eng miteinander verbunden waren. Die Rekonstruktion des musikhistorischen Geschehens bestätigt das Vorhandensein russisch-sowjetischer Tradition. Es ist jetzt an der Zeit, die bislang unbeachteten Quellen im Lichte der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte Russlands und der frühen Sowjetunion zu analysieren und zu interpretieren und zugleich einen Beitrag zur Geschichte der Musiksoziologie zu leisten. Das bisherige Bild von der Frühgeschichte der Musiksoziologie könnte in wesentlichen Punkten korrigiert werden.
Kontakt: natalia.nowack@web.de